Unabhängige Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe

Mit dem Inkrafttreten des Kinderjugendstärkungsgesetz (KJSG) am 10. Juni 2021 ist erstmals die verbindliche Einrichtung von unabhängigen, fachlich nicht weisungsgebundenen Ombudsstellen durch die Länder gesetzlich geregelt. Der Sicherstellungsauftrag an die Länder findet sich in § 9a SGB VIII:

  • § 9a Ombudsstellen
    In den Ländern wird sichergestellt, dass sich junge Menschen und ihre Familien zur Beratung in sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe an eine Ombudsstelle wenden können. Die hierzu dem Bedarf von jungen Menschen und ihren Familien entsprechend errichteten Ombudsstellen arbeiten unabhängig und sind fachlich nicht weisungsgebunden. § 17 Absatz 1 bis 2a des Ersten Buches gilt für die Beratung sowie die Vermittlung und Klärung von Konflikten durch die Ombudsstellen entsprechend. Das Nähere regelt das Landesrecht.

Ebenso müssen Träger der freien Jugendhilfe im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens gemäß §45 SGB VIII gewährleisten, dass sich junge Menschen innerhalb und außerhalb der Einrichtung beschweren können (s. §45 (2) SGB VIII).

Entwicklung von Ombudsstellen

Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe werden seit Jahren fachpolitisch diskutiert und ihre Anzahl ist in den letzten Jahren in Deutschland angestiegen, gleichwohl handelt es sich dabei noch um ein recht junges Thema. Die erste Ombudsstelle, Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V., wurde 2002 gegründet; in den folgenden Jahren entstanden weitere Ombudsstellen und Initiativen mit dem Ziel Betroffene in der Sicherstellung ihrer Rechte zu unterstützen. Anlass für diese Entwicklung, insbesondere in Berlin, waren die drastischen Kürzungen öffentlicher Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe, die dazu führten, dass es Personensorgeberechtigten (Anspruchsberechtigte bei Hilfen zur Erziehung) und jungen Volljährigen sehr schwer gemacht oder gar verwehrt wurde, ihren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII zu realisieren. In der Arbeit der Beschwerde- und Ombudsstellen in der Jugendhilfe sind heute zwei Schwerpunkte zu beobachten, erstens die Unterstützung der Ratsuchenden zur Sicherstellung ihrer Rechte bei der Leistungsgewährung durch ein Jugendamt und zweitens während der Leistungserbringung durch einen Träger der freien Jugendhilfe.

Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe

Auf Bundesebene existiert ein Zusammenschluss von Ombudsstellen und Initiativen in Deutschland – das Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe e.V.. Die Mitglieder des Netzwerks verbindet ein gemeinsames Interesse: Sie unterstützen Kinder, Jugendliche, junge Volljährige und Familien ombudschaftlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), insbesondere im Bereich der Hilfen zur Erziehung. Zweimal jährlich finden Treffen zum fachlichen Austausch und zur Beförderung des Themas in der Kinder- und Jugendhilfe statt. Weitere Informationen über das Bundesnetzwerk und die jeweiligen Ombudsstellen sowie Initiativen in Deutschland finden Sie auf folgender Homepage:

www.ombudschaft-jugendhilfe.de

Hintergründe

Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe beraten junge Menschen und Leistungsberechtigte in Bezug auf rechtsanspruchsbegründete Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Hierzu zählen insbesondere die Erziehungshilfe, die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, die Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung, die Hilfe in einer gemeinsamen Wohnform für Mütter/Väter und Kinder sowie die Hilfe im Rahmen der Jugendsozialarbeit. Auch Vollzeitpflegepersonen wenden sich an Ombudschaften / unabhängige Beratungsstellen.

Theoretischer Ausgangspunkt der Ombudschaften ist die Machtasymmetrie zwischen jungen Menschen / Leistungsberechtigten sowie den Institutionen Jugendamt und/ oder freier Träger. Ombudschaftliches Engagement und professionelles Handeln zielt darauf ab, diese Asymmetrie mit den zur Verfügung stehenden fachlichen – und notfalls auch juristischen – Beratungsmöglichkeiten auszugleichen. Die Parteilichkeit ist diesem Ausgleich gewidmet und unterscheidet sich damit von anwaltlicher Unterstützung im Sinne eines juristischen Mandates.

Die Förderung unabhängiger Beschwerde- und Ombudsstellen wurde in den letzten Jahren auch von fach- und politischer Seite verstärkt eingefordert.

Die Errichtung unabhängiger Beschwerdeinstanzen für Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe gehört zu den Empfehlungen der Runden Tische Heimerziehung und sexueller Kindesmissbrauch. Der Runde Tisch Heimerziehung (2010) weist auf die ergänzende Errichtung unabhängiger Beschwerdeinstanzen („Ombudsstellen“) für Kinder und Jugendliche hin und merkt hier an, dass erfahrungsgemäß „einrichtungsinterne Beschwerdemöglichkeiten nicht flächendeckend vorhanden“ (2010: 40) sind oder die Betreuten diese nicht nutzen. „Auch für vorhandene Berührungsängste wie z.B. zur Institution Landesjugendamt kann hierdurch eine wirkungsvolle zusätzliche Instanz geschaffen werden“ (Runder Tisch Heimerziehung 2010: 40).

Der Runde Tisch sexueller Kindesmissbrauch empfiehlt, „die Diskussion über die Schaffung von unabhängigen Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe weiter zu führen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf Finanzierungsformen, die die Unabhängigkeit der Stellen sichern, sowie gute und einfache Zugangsmöglichkeiten für die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe zu richten“ (2011: 22).

Auch im 14. Kinder- und Jugendbericht (2013) sind Ombudschaften/ unabhängige Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe ein Thema. Die Sachverständigenkommission weist auf die fehlende Fachaufsicht der kommunalen Jugendämter hin, mit der Konsequenz, dass „fachliche Entscheidungen der Jugendämter nur ausnahmsweise einer externen Kontrolle unterliegen“ (2013: 380). Die Kommission ist zudem „der Auffassung, dass der Zugang zu solchen unabhängigen ombudsschaftlichen Beratungs- und Beschwerdestellen für junge Menschen und ihre Familien in der Kinder- und Jugendhilfe in verstärktem Umfang geöffnet werden sollte” (2013: 380). Dem schließt sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an (vgl. 2013: 16).
In Nordrhein-Westfalen verankerte die Landesregierung die Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie die Überprüfung der Einrichtung eines „unabhängigen Beschwerdemanagements in der Kinder- und Jugendhilfe (Ombudsstellen)“ (NRWSPD – Bündnis 90/Die Grünen NRW: Koalitionsvertrag 2012-2017: 85) in ihrem Koalitionsvertrag.

Durch das Bundeskinderschutzgesetz sind auch die Jugendämter zur „Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe“ (§ 79a SGBVIII) verpflichtet. In diesem Rahmen haben sie Qualitätsmerkmale für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und in Familienpflege zu ihrem Schutz vor Gewalt zu erarbeiten. Es bleibt den örtlichen Jugendhilfeausschüssen unbenommen, auch für ihr Jugendamt die Einführung eines internen Beschwerdeverfahrens für junge Menschen und Leistungsberechtigte einzuführen und zu erproben (LJHA WL: 11. Sitzung am 01.10.2012 TOP 5).

Weitere Informationen zum Thema Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe erhalten Sie hier:

Gembalczyk, S./ Behrends, B. (2020):
Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe, in: Unsere Jugend: 44. Jg., S. 27-34.

Gembalczyk, S./ Behrends, B. / Marquardt, K. (2019):
Ombudschaften – Hürdenlauf abbrechen, in: Sozialmagazin 7-8.2019, S. 84-89.

Gembalczyk, S./ Müller, M. (2017):
Ärgerst du dich noch oder beschwerst du dich schon? in: Sozialmagazin 3-4 2017, S. 71-76.

Gembalczyk, S./ Hemker, B. (2017):
Wir wollen gehört werden! in: Unsere Jugend: 69. Jg., S. 172-180.

Hansbauer, P. /Stork R. (2017):
Materialien zum 15. Kinder- und Jugendbericht

Gembalczyk, S./ Müller, M. (2016):
Externe Beschwerdemöglichkeiten als ein Beitrag zur Sicherung von Kinderrechten, in: Das Jugendamt 9/2016, S. 413-417.

Sandermann, P. (2013): Beteiligung und Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe –
lernen, sich in eigener Sache starkzumachen?

Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (2012):
10 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe

Urban-Stahl, U. (2012):
Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe, in: FORUM Jugendhilfe1/2012, 5-11

Wiesner, R. (2012):
Implementierung von ombudschaftlichen Ansätzen der Jugendhilfe im SGV III. Rechtsgutachten für die „Netzwerkstelle Ombudschaft in der Jugendhilfe“ des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V.

Urban-Stahl, U. (2011):
Expertise. Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

Hemker, B./ Struck, N. (2011):
Ombudschaften als Normalfall der Partizipation, in: Forum Erziehungshilfen 5/2011, 310-313

Weitere Veröffentlichungen zum Thema „Ombudschaften“ finden Sie auch auf der Seite des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Jugendhilfe e.V.